SCHREIBTIPP | Fünf Lektionen, die ich im Lektorat gelernt habe

Was geschieht im Lektorat?

Der Schrecken vieler Autoren ist das Lektorat – die Stelle im Veröffentlichungsprozess, die den Text auseinandernimmt, auf Fehler hinweist und dadurch erfordert, dass sich der Autor intensiver mit seinem Text befasst als beim Schreiben.

Obwohl ich bisher nur zwei Lektorate meiner eigenen Bücher hatte, kenne ich mich in dem Bereich aus und lektoriere selbst Fantasy- und Liebesromane. Dadurch habe ich mir in den letzten Jahren ein breites Wissen erarbeitet. Ein guter Lektor prüft euer Buch im Hinblick auf Logik und Spannung des Plots, auf die Charakterentwicklung und die Motivationen und Ziele der handelnden Personen, auf den Weltenbau und auf den Schreibstil. Letzteres kann, je nach Absprache, auch der Korrektor übernehmen, der sonst für die Prüfung auf Rechtschreibfehler und Grammatik verantwortlich ist.

Lektion 1: Kein Text ist je perfekt.

Egal, wie sehr ihr an eurem Werk hängt, wie toll ihr es findet und hoch es möglicherweise eure Testleser in den Himmel gelobt haben: Kein Text ist je perfekt. Und das ist auch völlig in Ordnung! Als Autor will man sich weiterentwickeln und aus seinen Fehlern lernen. Würde man keine machen, würde man irgendwann stillstehen und die Qualität der Bücher stagnieren. Dabei erwartet ein Leser, dass die Qualität mit jedem Buch steigt. Ein Lektor hilft euch, selbst kleinste Fehler zu finden, und sei das nur eine Form des Satzbaus, die ihr immer wieder benutzt. Vom Plotloch, das die Logik sprengt, hin zu Recherchefehlern und Wiederholungen: In jedem Lektorat gibt es etwas zu tun, das euch als Autoren wachsen lässt.

Lektion 2: Euer Lektor arbeitet mit euch, nicht gegen euch.

Denkt daran: In den meisten Fällen ist euer Lektor der erste Leser. Überzeugt ihr ihn, könnt ihr mit einem guten Gefühl ans Veröffentlichen gehen. Dazu braucht es aber Kritikfähigkeit von beiden Seiten. In der Regel wird euer Lektor Vorschläge zur Verbesserung bringen und euch erklären, was problematisch ist. Es ist niemals ein Muss, alles umzusetzen. Lasst die Anmerkung zwei, drei Tage sacken und geht danach in aller Ruhe dran. Versucht nachzuvollziehen, wieso die Stelle problematisch erscheint. Denn was der Lektor sieht, könnte auch ein zukünftiger Leser sehen und anmerken. In der Regel haben Lektoren genug Erfahrung und einen guten Grund, wenn sie eine Anmerkung setzen. Wenn doch mal alle Stricke reißen, bittet um ein Gespräch. Euer Lektor möchte nicht gegen euch, sondern mit euch arbeiten. Dazu müsst ihr in der Lage sein, über schwierige Stellen diskutieren und die gegenteilige Meinung ebenso in Betracht ziehen zu können wie eure eigene.

Lektion 3: Ein guter Lektor bringt euch nicht nur im aktuellen Skript, sondern langfristig etwas bei.

Vor meinem ersten Lektorat, damals noch zu „Küss die Diebin, wenn du kannst“, hatte ich wirklich Angst. Wie würde es werden, muss ich viel umschreiben? Letztendlich war es unfassbar viel Arbeit, aus der ich aber bis heute viel für mich selbst mitnehmen konnte. So habe ich gelernt, Bandwurmsätze häufiger zu kürzen und nicht zu häufig mit den Namen meiner Protagonisten um mich zu werfen. Bis heute habe ich dabei die Stimme meiner Lektorin im Kopf, wenn ich ein neues Skript schreibe. Ein guter Lektor wird euch also nicht nur in dem aktuellen Projekt helfen, sondern generell euer Schreiben verändern und langfristig verbessern.

Lektion 4: Weniger ist manchmal mehr – und das Löschen kein Weltuntergang.

Viele Autoren fürchten sich vor dem Löschen – ich gestehe, ich gehöre auch dazu. Bei jedem Lektorat hoffe ich, dass ich keine kompletten Szenen wegstreichen oder Figuren rauslöschen muss, die mir ans Herz gewachsen sind. Aber das passiert häufiger, als man denkt. Und wisst ihr was? Die Leser merken es meistens nicht einmal. Denn das Löschen ist kein Weltuntergang! Es wird euren Text in den meisten Fällen nur verbessern, seien es nun ganze Passagen oder die allseits beliebten Füllwörter. Inzwischen achte ich schon beim Schreiben darauf, unnütze Füllwörter wegzulassen. Und wenn meine Lektorin am Ende einen ganzen Plotstrang löschen will, ist das in der Regel auch in Ordnung. Denn wenn sie den langweilig oder unlogisch findet, werden ihn mit Sicherheit auch meine Leser nicht genießen. Weniger ist also manchmal mehr!

Lektion 5: Ein guter Lektor fordert dich heraus, bis du gewinnst.

Für mich gibt es kaum ein schöneres Gefühl auf der Welt, als von den Autoren, die ich betreue, positive Nachrichten zu bekommen. Ja, im Lektoratsprozess selbst sind bereits Tränen geflossen. Aber es lohnt sich. Du wirst ackern müssen. Du wirst deinen Lektor verfluchen – oh, wie oft habe ich meine verflucht! Aber jedes Lektorat ist für beide Seiten eine Herausforderung, und wenn das Buch veröffentlicht ist und nur einen Leser positiv beeinflusst, hat es sich bereits gelohnt. Beide Seiten gewinnen, Autor und Lektor. Denn gemeinsam holt man das Beste aus dem Buch heraus, das möglich ist, und entwickelt sich weiter.

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