Das Mysterium vom perfekten Leser
Immer wieder tauchen Fragen auf, wie man als Autor die perfekten Testleser findet. Lasst es mich gleich klarstellen: Die perfekten Testleser gibt es nicht. Das ist ein Mysterium! Denn jedes Buch und auch jeder Autor benötigt eine andere Form einer ersten Meinung zum Geschriebenen. Manche verzichten komplett auf Testleser, andere nutzen gleich zehn oder zwanzig Stück. Ob im Familien- und Freundeskreis, unter Schreibkollegen oder von völlig Außenstehenden – die erste Meinung ist immer wichtig und kann gleichfalls Motivation oder Stimmungskiller sein.
Vorab möchte ich sagen: Einen richtigen Weg gibt es nicht. Experimentiert herum und findet heraus, wie die Zusammenarbeit mit Testlesern für euch passt. Wichtig ist, dass alles respektvoll und fundiert geschieht.
Wen soll ich als Testleser nutzen – und wo finde ich den?
Ich habe von vielen Seiten aus gehört, dass man nicht Freunde oder Familie als Testleser nutzen soll. Und ich sage euch: Schwachsinn. Alle meine Testleser sind meine Freunde, völlig Fremden würde ich meine Texte nicht mehr anvertrauen. Wichtig dabei ist aber, dass mir alle meine Freunde die Wahrheit um die Ohren schleudern, auch wenn sie wehtut. Ich habe irgendwo Logiklücken drin oder meine Charaktere verhalten sich weltfremd und nicht nachvollziehbar? Meine Testleser sagen es mir.
Eure ersten Testleser können also aus eurem Bekanntenkreis stammen, da könnt ihr auch persönlich Menschen ansprechen. Wollt ihr erfahrene Testleser, die sich intensiv mit der Materie befassen, rate ich euch davon ab, große Autoren einfach anzuschreiben und sie zu bitten, euer Buch zu lesen. Die meisten davon haben keine Kapazitäten, immerhin müssen sie selbst schreiben und den Rattenschwanz erledigen, der da dranhängt. Allerdings können sie euch möglicherweise Testleser empfehlen. Schaut euch auch in Schreibforen oder -gruppen um, fragt gern auf Facebook oder Instagram bei den einschlägigen Seiten und Gruppen nach. Empfehlen kann ich persönlich das Nanowriyeah auf Facebook oder das Forum der Schreibnacht für den ersten Kontakt.
Was sollte ein Testleser mitbringen?
Ehrlichkeit ist das wichtigste Kriterium für einen Testleser. Direkt darauf folgt aber Respekt. Alles sollte in einem angemessenen Tonfall geschehen. Außerdem benötigt man als Testleser die Fähigkeit, die Meinung fundiert wiedergeben und an Textstellen verständlich für den Autor festmachen zu können. Nur zu sagen „Fand ich doof“, bringt niemanden weiter.
Außerdem sollte sich ein Testleser an feste Termine halten können. Jedem kommt mal das Leben dazwischen, aber wer das Buch eines anderen vorab bekommt, sollte zumindest Bescheid sagen, wenn sich etwas verzögert. Vor allem wenn man als Autor Deadlines hat, ist Pünktlichkeit das A und O. Sich einfach nicht mehr zu melden, geht gar nicht. Eure Testleser sollten also verlässlich sein.
Wie viele Testleser brauche ich?
Auch hier gilt wieder: Findet euren eigenen Rhythmus. Ich persönlich finde, dass zu wenig Testleser besser sind als zu viele. Zu viele können euch verwirren und vor allem euren Stil durch unterschiedliche Meinungen beirren, gleichzeitig geben sie euch ein aussagekräftigeres Bild als zwei Testleser, die gegensätzliche Sachen sagen. Ich persönliche arbeite nur noch mit zwei Testlesern fest zusammen und suche mir für jedes Projekt passende aus. Über fünf würde ich nicht gehen, ich kennen aber auch Autoren, die mit 10 bis 20 arbeiten. Wie ihr seht, ist das sehr individuell und hängt auch davon ab, wofür ihr Testleser benötigt – nur eine grobe Meinung als Zusammenfassung oder detaillierte Anmerkungen an speziellen Stellen?
Soll ich Testlesern Anweisungen geben?
Unbedingt! Das ist etwas, was ich vor allem bei neuen Autoren beobachte: Sie lassen den Testlesern komplett freie Hand und warten einfach auf Feedback. Macht das nicht, sonst werdet ihr nur enttäuscht. Es ist keine Schande, Ansprüche an Testleser zu stellen. Denn klare Kommunikation macht es auch den Testlesern einfach, fokussiert zu lesen und besseres Feedback zu geben. Wollt ihr nur einen Gesamteindruck von der Story? Feedback zu einzelnen Plotpunkten und ob Cliffhanger und Plot Twists funktionieren? Wollt ihr wissen, ob eure Charaktere nachvollziehbar sind und beim Leser Verbundenheit hervorrufen? Kommuniziert das im Vorfeld klar und deutlich. Das wird euch viel Stress ersparen und die Testleser können genauer draufschauen und euch das Feedback geben, das ihr benötigt.
Was sind die Aufgaben eines Testlesers?
Ich habe oft erlebt, dass Autoren mich gefragt haben, ob ich beim Testlesen nicht auch Rechtschreibfehler korrigieren kann. Ganz ehrlich? Nein. Dafür arbeite ich. Ich bin Korrektorin, aber dafür werde ich in der Regel bezahlt, fürs Testlesen nicht. Wenn ich mal einen Tippfehler ausbessere, geht die Welt nicht unter. Aber keine zehn auf einer Seite. Eure Testleser geben euch eine subjektive Meinung nach objektiven Gesichtspunkten. Sie sind aber nicht eure Dienstleister. Nutzt sie bitte auch nicht dementsprechend aus und stellt solche Forderungen.
In den meisten Fällen sind eure Testleser auch nicht eure Sensitivity Reader. Diese lesen ein Buch passagenweise oder ganz und überprüfen, ob ihr euch schwierigen Themen, wie beispielsweise LGBT+, psychischen Krankheiten oder Behinderungen auf respektvolle und angemessene Weise genähert habt, oder ob es da noch Formulierungen und Gegebenheiten gibt, die in solcher Form nicht in Ordnung sind und der jeweiligen Community z.B. durch Fetischisierung schaden. Sensitivity Reader kennen sich in ihrem Bereich besser aus als der normale Testleser und sind darauf spezialisiert. Deshalb zählen sie auch stärker zu den Dienstleistern als zu den Testlesern.
Bekommen Testleser Honorare?
In der Regel nicht. Praktisch könnt ihr das aber auslegen, wie ihr wollt. Ihr wollt euren guten Testlesern eine Freude machen und euer Buch, einen Gutschein oder sonst eine Kleinigkeit schenken? Gerne! Das ist nett und zeugt davon, dass ihr euch wirklich für sie interessiert und sie wertschätzt. Es muss aber nicht sein und keiner sollte sich dazu verpflichtet fühlen. Testleser erledigen eine wichtige Arbeit, aber sie machen sie freiwillig und weil sie ihnen Spaß macht. Bei Sensitivity Readern, Korrektoren und Lektoren sieht das anders aus, aber Testleser verdienen ein Danke und das, was ihr noch dazugeben möchtet.